Unsere Küche war nur ein ganz schmaler Schlauch- kein ausreichender Platz für ein gemeinsames Frühstück. Bis Mitte der 1950er Jahre hatten alle Mietparteien einen holzbefeuerten Küchenherd zum Kochen und zum Heizen. Vor allem in der Küche hatte ein Bombeneinschlag unweit unseres Hauses tiefe Risse im Mauerwerk hinterlassen. Von Küche und Wohnzimmer aus schaute man daher auf eine Art Brach�läche, die später teilweise als Wirtschafts- garten genutzt wurde. Die beiden anderen Räume hatten Fenster zur Straße hinaus und gewährten allen Bewohnern und insbesondere Bewohnerinnen den Blick auf alltägliche Geschehen auf der Straße und dem Gehsteig. An einigen Fenstern wurden schon morgens die Kissen aufs Fenster- brett gelegt und blieben dort oft bis in die Nachtstunden, wenn es nicht gerade regnete. Zu zweit oder auch alleine hielt man hartnäckig den Beobachterposten, um nichts zu versäumen, was sich da unten oder vis-a-vis abspielte. Ein Fernsehgerät besaß damals noch niemand. Zu jeder Mietwohnung in unserem Haus gehörte neben einem Dachboden- ein Kellerabteil, wo unter anderem Anschürholz, Kohle und Kartoffeln gelagert wurden. Der Gang hinunter war für mich als Kind stets angstbesetzt, denn die Kellerleuchten spendeten nur trübes Licht, noch dazu war unser Kellerabteil im hintersten Winkel. Wenn dann schlurfende Schritte zu vernehmen waren, war das stets beunruhigend für mich, obwohl oder weil ich schon ahnte, dass es sich um den Gastwirt handelte, der Kindern stets mit �insterer Miene begegnete, jedenfalls nach meinem Eindruck. Da unten hatte er seine Räucherkammer und da waren auch die hölzernen Bierfässer gelagert, die in den frühen 1950er Jahren noch mit einem Pferdefuhrwerk angeliefert wurden. Die Bierkutscher hievten die Fässer auf ein am Boden vor dem Kellerfenster ausgelegtes Lederkissen und dann über Rollen in den Lagerraum. Einmal im Monat erschien mir der Keller allerdings in einem anderen Licht, nämlich dann, wenn am Freitagabend meine Mutter bis spät in der Nacht mit „großer Wäsche“ im Waschraum dran war und ich lange au�bleiben durfte. arbeitet, dann ge�leit und ausgewrungen. In der Pause gab Es musste ja erst der Waschkessel angeheizt werden, ehe es richtig losgehen konnte. Die Kochwäsche wurde in den Kessel verfrachtet, andere Wäschestücke auf dem riesigen hölzernen Waschtisch mit Wurzelbürste und Kernseife be- es oft Schmalzbrote und manchmal noch ein „Windsheimer“ aus der Wirtschaft. Wir Kinder spielten im Hof, der durch einen Drahtzaun von dem Areal abgetrennt war, das zur Gastwirtschaft gehörte und von einem Kläffer bewacht wurde. Ballspielen im Hof war zwar untersagt, doch wir ließen uns nicht dauerhaft davon abhalten. Nur wenn der Omnibusfahrer, der im Erdgeschoß wohnte, zu Hause war, mussten wir uns in Acht nehmen. Er konnte schrecklich wütend und sogar handgrei�lich werden, wenn wir mit dem damals beliebten Spiel Ball-an-die-Wand-Werfen es wagten, seinen Schlaf zu stören. In unserem Haus lebten nicht nur Kinderfreunde. Auch der grimmige Herr, der mit seiner Frau im ersten Stock wohnte und immer nur in seiner blauen Arbeitsschürze herumlief, obwohl längst im Rentenalter, war kein solcher und konnte einem Angst machen, wenn er einem seine Schimp�kanonade entgegenschleuderte, wenn man einmal das Grüßen versäumt hatte oder polternd die Treppen hinunterstürmte. Nur wenige Schritte von unserer Wohnung entfernt gab es damals alles, was man für den täglichen Bedarf brauchte: zwei Metzgereien, drei Bäckereien, den alteingesessenen Damen- und Herrenfriseur „Neumüller“, unweit davon in der Grünstraße das Milchgeschäft „Iberle“, Richtung Schwei- nau war sogar ein Konsumladen, in den sich meine Mutter als „Genossin“ für fünfzig Mark eingekauft hatte, um über angesammelte Kassenzettel Rückvergütung zu bekommen. Als dann allerdings 1954 das Rabattgesetz geändert, die Rückvergütung gesenkt wurde und auch andere Geschäfte Rabattmarken geben durften, rentierte sich das nicht mehr. Für bestimmte Einkäufe schickte mich meine Mutter gerne – 8 –